Die Frau auf der Brücke

Seit über zehn Jahren habe ich an diesem Buch gearbeitet. Zuerst auf deutsch, dann auf englisch und schließlich wieder in meiner Muttersprache, denn es geht um meine Heimat und um Personen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ihre Namen sind zum Teil verändert, ihre Geschichten entsprechen nicht immer den Tatsachen, aber es gibt Berichte, Fotos, Jahreszahlen, Erzählungen, die nicht erfunden sind. Mein Vater hat mit 77 Jahren seine Kindheit und die Erlebnisse aus der Kriegszeit nieder-geschrieben – ohne auf Tagebücher oder Gespräche mit den Brüdern zurückzugreifen. In diesen Aufzeichnungen hat er seine Frau nicht erwähnt, was zum Ausgangspunkt meiner Forschungen wurde. Ich suchte nach ihrer Geschichte und entdeckte das Foto von ihr auf der kleinen Brücke vordem Rathaus in Hannover. Mein Angelpunkt. Es hing versteckt in der Nische beim Klavier. Sie kannte den Fotografen, von dem es kein Bild gibt aber ihre Erinnerungen, die ich eingefügt habe. Er hat den Krieg nicht überlebt.

Über die Jahre haben mir viele Freunde immer wieder Mut gemacht, weiterzuschreiben, wenn ich aufgeben wollte. Ganz oben auf der Liste steht Beate Dölling, Autorin zahlreicher Kinder und Jugendbüchern, die sich trotz pausenloser Arbeit an ihren eigenen Schreibprojekten immer wieder die Zeit genommen hat meine vielen Versuche zu lesen und ausführlich zu besprechen. Mein aufrichtiger Dank gilt ihr. Ohne sie wäre dieses Buch nicht zustandegekommen.

Mein Dank für viele gute Ratschläge in den frühen Phasen des Buches gilt Christian Raisner, Tatjana Greiner und Catherine Abbot. Und für die Schlußphase ein dickes Dankeschön an Dieter Markworth für stundenlanges Korrekturlesen und an meine Töchter Milena und Anna für ihre Hilfe beim Cover Design und Layout.

Und hier das erste Kapitel:

Ich bin die Frau im schwarzen Mantel mit den hochgesteckten Haaren. Ich stehe auf einer kleinen Brücke an einem schmiedeeisernen Geländer aus schwarzen, großblättrigen Ranken und sehe aufs Wasser. Im Hintergrund ein prunkvolles Gebäude, dessen Kuppeln und Fensterbögen sich im Wasser spiegeln. Im Vordergrund ich im taillierten Mantel. Von beiden Seiten ragen zarte Zweige ins Bild. Mit der linken Hand ans Brückengel.nder geklammert, der rechte Arm gestreckt, die Hand kaum sichtbar zu einer Faust geballt, blicke ich aufs Wasser. Mein Gesicht ist nicht zu erkennen, auch nicht das Profil, nur die Nasenspitze unter der Augenbraue und das rechte Ohr unter den hochgesteckten Haaren. Ich schaue nicht in die Kamera, ich starre aufs Wasser, als suchte ich etwas unten auf dem Grund – als wollte ich hineinspringen.

Dreh dich um, Karla, rief der Fotograf mir zu, während die Kamera klickte. Ich möchte dein Gesicht fotografieren. Aber ich drehte mich nicht um.

Wer ist Ellie Schürmann? rief ich zurück. Sag‘s mir, oder ich springe ins Wasser. Mit einem Satz könnte ich mich leicht über das Geländer schwingen, es ging mir nur bis zur Hüfte.

Lass das, hörte ich von hinten. Das Wasser ist kalt und nicht tief genug, um darin zu ertrinken.

Rettest du mich, wenn ich springe?

Die Kamera hörte nicht auf zu klicken.

This entry was posted in German Gems. Bookmark the permalink.

One Response to Die Frau auf der Brücke

Leave a Reply